Kein Weg führte vorbei

Kein Weg führte an der Eingemeindung in die Stadt Winnenden vorbei.

In Baden-Württemberg  regierten 1968 – 1974 CDU und SPD in Großer Koalition unter Ministerpräsident Filbinger (CDU) und Innenminister Krause (SPD). Das Thema „Verwaltungsreform“ bei Landkreisen und Gemeinden stand auf der Agenda. Kleinere Gemeinden (bis ca. 2000 EW)  sollten sich  mit  anderen Gemeinden zu größeren Einheiten zusammenschließen oder  in Verwaltungsgemeinschaften wesentliche Aufgaben und Probleme gemeinsam tragen. Noch vorteilhafter wurde beurteilt, wenn sich  „Große Kreisstädte“ mit mehr als 20 00 Einwohnern ergaben. Dafür bot man den „Goldenen Zügel“ – sprich: außerordentliche Finanzzuweisungen, an.

Wir im Raum Winnenden hatten früh die Absicht, eine Große Kreisstadt Winnenden als gemeinsames Ziel anzusteuern. Deshalb habe ich schon 1969 das Thema im Kreis der Bürgermeister aufgegriffen, positiv beraten und die Stadt Winnenden um entsprechende vorbereitenden Schritte und die Stabführung gebeten.

Hinzu kam bei uns, dass zum 1.Januar 1970 das Verwaltungsaktuariat Winnenden aufgelöst werden sollte. Helmut Kallenberg, ein Verwaltungsbeamter des gehobenen Verwaltungsdienstes,  hatte – im Auftrag des Landratsamts Waiblingen –  für alle diejenigen Gemeinden des Raums Winnenden und  der Berglen, die von einem sogenannten „nichtfachmännischen Bürgermeister“ (Nichtfachmann) geleitet wurden, die  Funktion des Fachbeamtens in Fragen der Haushaltsplanung, des Satzungs- und Steuerrechts und der Führung der Rechnungsgeschäfte inne. Er wurde meistens zu den Sitzungen des Gemeinderats eingeladen und nahm dabei eine beratende Funktion wahr. Als er in den Ruhestand trat, übernahm Bürgermeister Schnabel für die heute zur Gemeinde Berglen gehörenden Ortschaften diese Funktion wahr, ich für die damals in einer neuen  Verwaltungsgemeinschaft „Vordere Berglen“ mit Birkmannsweiler zusammengefassten Gemeinden Baach, Bürg und Höfen. Breuningsweiler, Buoch und Hertmannsweiler wurden von Fachbürgermeistern verwaltet, Hanweiler nahm die Dienste der Stadt Winnenden direkt an.

Verwaltungsgemeinschaften waren Übergangslösungen. Unsere gemeinsame Absicht war, die ohnehin vorhandene Zentralität der Kernstadt Winnenden zu nutzen und (s.o.)  eine Große Kreisstadt zu entwickeln. Damit sollten im Wesentlichen die Funktionen des Landratsamts auf die Stadtverwaltung übergehen. Das hätte der Bevölkerung genutzt.

Zug um Zug wurden die benachbarten Gemeinden in die Stadt Winnenden eingegliedert, Höfen hatte 1972 den  Anfang gemacht. An den Verhandlungen nahmen auf der Seite der eingliederungswilligen Gemeinden unser Verwaltungsoberinspektor Walter Scheyhing oder ich als Vorsitzender der VG teil. Höfen, Baach und Bürg wurden noch 1972 Stadtteile.

In Birkmannsweiler nahm die Volksabstimmung zur Zukunft einen anderen Verlauf.

In einem persönlichen Brief an alle Haushaltungen in Birkmannsweiler hatte ich mich vor der Bürgeranhörung am 19. September 1971  klar für die Eingliederung in die Stadt Winnenden ausgesprochen.  Gleichzeitig hatte sich aber auch eine Bürgerinitiative gebildet, die ihrerseits in einem Flugblatt und mit Plakaten für die Selbständigkeit der Gemeinden und für mein Verbleiben in Birkmannsweiler warben.

Bei 60 % iger Wahlbeteiligung sprachen sich 70 % der Bevölkerung für die Selbständigkeit aus, 30 % stimmten für die Eingliederung nach Winnenden. Ein klares Ergebnis und ich war im Zwiespalt. Denn ich sollte weiter die Gemeinde leiten und verteidigen, wohlwissend, dass der Zusammenschluss kommen würde. Mich würde ein Erfolg evtl. den Job kosten – soll ich bleiben?

Mit meinem Verbleib verband ich die Bitte an die Bevölkerung, jetzt durch eigene Anstrengungen einen Teil dessen zu schaffen, was im Falle des Anschlusses an Winnenden erreicht würde. Das kam gut an. Spontan bildete sich das oben beschriebene „Komitee II. Kindergarten“, das sich zum Ziel setzte, den fälligen 2. Kindergarten durch Spenden zu bauen.

damaliger Gemeinderat

In der nächstfolgenden Gemeinderatssitzung erklärte ich dann „es wäre falsch, würde man das Ergebnis als Sieg betrachten oder als gegen die Bürger der Stadt Winnenden gerichtet. Der Stadt Winnenden und ihrer Verwaltung soll Gelegenheit gegeben werden, sich das Vertrauen der hiesigen Bevölkerung zu sichern. Meine Vorstellung: wir müssen die Tür wieder aufmachen, Vertrauen bilden und eine Zwangseingliederung vermeiden“.

Wegen der Sicherung der Sonderzuweisungen suchte ich bald  schon neue Verhandlungen mit der Stadt Winnenden, die fühlbar „beleidigt“ war. Sachlich war die Eingliederung auf dem Papier einleuchtend, die Bevölkerung aber befürchtete Nachteile durch Verlust der kurzen Wege zum Rathaus. Und auch um meine weitere Mitarbeit auf dem Rathaus.

Die Stadt sicherte aber – wie in allen Teilorten – zu, alle zusätzlichen Finanzmittel, die durch die Eingliederung gewonnen würden, in der jeweiligen Ortschaft zu investieren. Mehr konnte sie finanziell nicht bieten. Für Birkmannsweiler handelte es sich um etwa eine Million DM. Wir vereinbarten, dafür die „Birkmannsweiler-Halle“ zu errichten. Auch ein zusätzlicher Kindergarten mit zwei Gruppen stand oben auf der Dringlichkeitsliste. Gemeinderat und Verwaltung setzten auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ und initiierten das Vereinsförderprogramm, das auch an anderer Stelle beschrieben wird.

Welche Summe letztlich dadurch an Geld und Eigenleistungen aufgebracht wurde, kann nur annähernd geschätzt werden.  Erreicht hatten wir, dass unabhängig vom Standort des Rathauses eine bürgerschaftliche Eigenständigkeit gesichert wurde, von der wir auch 30 Jahre später noch zehren und auf die wir zurecht stolz sind. Neben der materiellen und ideellen Sicherung des kirchlichen, sportlichen und kulturellen Lebens festigte das gemeinsame Bemühen das Band der Zusammengehörigkeit in der Bevölkerung.

Im zweiten Anlauf gelang dann die Einigung  über die Eingliederungsmodalitäten. 1973 hatten wir uns wieder zu gemeinsamen Verhandlungen getroffen. Oberbürgermeister Hermann Schwab, Bürgermeister Karl-Heinrich Lebherz und eine Delegation des Gemeinderats auf der Seite der Großen Kreisstadt, unser Gemeinderat, der spätere Stadtkämmerer Walter Scheyhing und ich auf der Birkmannsweiler Seite. Bis zur Jahresmitte 1973 hatten wir eine Vereinbarung  formuliert, die im Wesentlichen den Bau der Südumgehung im Zuge der L 1140, die Fortsetzung von Baugebietserschließung im Gewann Eichholz/Gereuth und  Bürgäcker und die Verpflichtung zur Sanierungen in der Ortsmitte als Forderungen verankerte. Als besondere „Morgengabe“ sollte am neuen Sportgebiet in der Talaue eine Mehrzweckhalle entstehen, die sich in Größe und Ausstattung an den örtlichen Bedürfnissen ausrichten sollte.

Nun musste der Gemeinderat entscheiden!  Mit 8 ja und 3 nein – Stimmen wurde am 25. Juni 1973 die Eingliederung beschlossen und am 1. Januar 1974 vollzogen. Die Gemeinderäte Hermann Klöpfer und Walter Rommel sollten zunächst in den Winnender Stadtrat einziehen, der alte Gemeinderat bildete die verbleibende Gemeindevertretung, Vorsitzender dieses Gremiums war Gemeinderat Hermann Andrä, ich selbst schied wegen Ablauf meiner Amtszeit aus.

Die Bevölkerung trug die Entscheidung nicht begeistert, aber gefasst mit, denn es führte kein Weg an dieser Entscheidung vorbei. 

Schlüsselübergabe

Dass es dann am 1. Januar 1974 nicht nur zu einer offiziellen Schlüsselübergabe zwischen mir und Herrn Schwab kam, sondern auch zu einer Beerdigungsfeier, war der Inszenierungsbegabung einiger Bürger und der Vereine – ohne mein Wissen oder meine Mitwirkung – zuzuschreiben. Das „Begräbnis der Gemeinde“ war mit einem guten Schuss Ironie gewürzt worden und so eindrucksvoll durchgezogen, dass es sogar das Fernsehen angelockt hatte. Manche fanden es empörend, ich empfand das Szenario mit Sympathie, weil die Aktion ein Signal dafür war, dass man zwar einen sehr langen Geschichtsabschnitt der Gemeinde verabschiedete, sich aber gleichzeitig selbstbewusst dem Neuen stellte.

Das Begräbnis der Gemeinde Birkmannsweiler

Die Birkmannsweiler Halle – das „Eingemeindungsgeschenk“ – Einweihung 1980

1974 kam es wie oben beschrieben zur – noch – freiwilligen Eingemeindung von Birkmannsweiler nach Winnenden. Die Sonderzuweisungen des Landes flossen wie erwartet und wurden für eine neue Mehrzweckhalle, die Birkmannsweiler Halle, verwendet. Sie steht  im neuen Sportgebiet dicht neben dem neu erbauten Vereinsheim des VfR Birkmannsweiler. Die Vereine wirkten bei der Konzipierung der Halle und des Bühnenteils wesentlich mit. Die Einweihung  wurde 1980 zu einem  Dorffest aufgewertet, veranstaltet und finanziell von den Vereinen getragen. Eine Festschrift zu dieser Einweihung gibt Zeugnis von der Kraft und Kreativität des bürgerschaftlichen Lebens in Birkmannsweiler.

Die Sport- und Mehrzweckhalle trug wesentlich dazu bei, dass sich das Vereinsleben in Birkmannsweiler weiter entfaltete und auch kulturelle und gesellschaftliche Höhepunkte gesetzt werden konnten, öfters in Gemeinschaftsveranstaltungen mit Nachbarvereinen.

Im Jahr 1998 veranstalteten die Vereine in dieser Halle ein sehr erfolgreiches Benefizkonzert zu Gunsten der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Diabeteshilfe (Reinerlös 6 000 DM). Derzeit wird über eine Erweiterung der sportlichen Nutzbarkeit der Halle nachgedacht, weil das örtliche Bedürfnis weiter wächst. Auch da deutet sich nur dann eine Lösung an, wenn die Bürger wieder selber zu Spaten und Schaufel und in den Geldbeutel greifen. So wie das halt in Birkmannsweiler Tradition ist. Und hoffentlich auch bleibt.

Friedrich Seibold, Amtsverweser und Bürgermeister in Birkmannsweiler v.16.7.1965 bis 31.12.1974.